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Gestalt Perception und User Interfaces

von Kay Weckemann


Einleitung

Ziel dieses Aufsatzes ist eine knappe Einführung in die Grundzüge der Gestaltpsychologie, um daraus Prinzipien für die Gestaltung von Benutzerschnittstellen abzuleiten. Dazu werden die Entstehung der Theorie sowie ihre Grundsätze kurz aufgezeigt und einige der daraus entstanden Gestaltgesetze aufgeführt. Diese werden schließlich auf ihre Relevanz für Benutzerschnittstellen hin überprüft und beurteilt.

Grundlagen der Gestaltpsychologie

Die Gestaltpsychologie geht in ihren Ursprüngen bis auf eine Arbeit des Philosophen Christian von Ehrenfels aus dem Jahre 1890 zurück. Er untersuchte darin, dass eine Melodie auch nach einer Transposition aller Töne noch erkennbar bleibt, also nicht nur durch die einzelnen Elemente (hier: Töne), sondern durch ihre Gestalt (hier: Anordnungsbeziehung) beschrieben wird.
Als eigentliche Begründer der Gestaltpsychologie gelten Max Wertheimer, Wolfgang Köhler, Kurt Koffka und Kurt Lewin mit ihren Forschungen im frühen 20. Jahrhundert. Diese so genannte "Berliner Schule der Gestaltpsychologie" arbeitete nicht nur am Gegenstand der Wahrnehmung, der für uns relevant erscheint, sondern auch an zahlreichen anderen allgemeinen Grundlagen der Psychologie.

"Es gibt Zusammenhänge, bei denen nicht, was im Ganzen geschieht, sich daraus herleitet, wie die einzelnen Stücke sind und sich zusammensetzen, sondern umgekehrt, wo - im prägnanten Fall - sich das, was an einem Teil dieses Ganzen geschieht, bestimmt von inneren Strukturgesetzen dieses seines Ganzen. (...) Denn Gestalttheorie ist dieses, nichts mehr und nichts weniger. (Max Wertheimer (1924))"

Dies wird oftmals folgendermaßen in einem Satz, der bereits Aristoteles zugeschrieben wird, ausgedrückt: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Für die Wahrnehmungseffekte bedeutet dies also, dass die Interpretation durch den Betrachter eine entscheidende Rolle spielt und nicht ausschließlich das, was objektiv vorhanden ist.
Das menschliche Gehirn neigt demnach dazu, Bilder mit vorhandenen Erfahrungen und bestehendem Wissen abzugleichen, um das Bild dann dahingehend zu manipulieren, dass es einen stimmigen und annehmbaren Gesamteindruck macht. Dies kann durch das Gruppieren von Elementen, Ausblenden von Details bis hin zur Einbildung nicht vorhandener Details geschehen.
Einige Ergebnisse der Forschung wurden schon früh in den so genannten Gestaltgesetzen formuliert. Diese bieten damit eine gute Möglichkeit, die Gestalttheorie einfach zu umreißen und darzulegen.

Gestaltgesetze (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

Im Laufe der Jahre wurden Gestaltgesetze überarbeitet und ergänzt. Es kamen neue dazu, verfasst und publiziert von Forschern aus unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten. Die folgende Aufzählung kann deshalb nicht als vollständig betrachtet werden. Auch hat sie nicht den Anspruch die wichtigsten Gesetze aufzuführen, sie dient einzig und allein einem Überblick zu geben, der für unsere Frage nach der Relevanz in Bezug auf Benutzerschnittstellendesign günstig erscheint.

Gesetz der Prägnanz: Gestalten mit besonderen Merkmalen werden zuerst und stärker wahrgenommen. Hier kann es auch dazu kommen, dass nicht vorhandene Teile vom Gehirn am Bild ergänzt werden, um einen stimmigen Gesamteindruck zu erzielen.
Gesetz der Ähnlichkeit: Ähnliche Elemente werden als zusammengehörig betrachtet und entsprechend gruppiert.
Gesetz der Nähe: Elemente, die nahe beisammen liegen, werden als Gruppe wahrgenommen. Dieses Gesetz überwiegt die Effekte des Gesetzes der Ähnlichkeit.
Gesetz von Figur und Hintergrund: Bilder werden unterschiedlich interpretiert, wenn einzelne Elemente einer Figur oder alternativ dem Hintergrund zugeordnet werden können. Dabei werden aber gut strukturiert Elemente eher als Figur, weniger strukturierte Teile eher als Hintergrund wahrgenommen.
Gesetz der Erfahrung/Erwartung: Fehler in bestimmten Objekten werden leicht übersehen, da sie automatisch unterbewusst anhand früherer Erfahrungen korrigiert werden. Dies geschieht dadurch, dass bekanntes weniger intensiv betrachtet wird, da bereits ein kurzer Blick ausreicht, um das Gesamtbild zu erfassen und mit dem in der Erinnerung gespeicherten zu assoziieren.
Gesetz der Kontinuität: Zeitlich aufeinander folgende Objekte werden in Verbindung gesetzt. Dieses Gesetz beschreibt die Möglichkeit durch schnell aufeinander folgende Bilder eine Bewegungseindruck zu vermitteln, was offensichtlich dem Prinzip von Filmen entspricht.
Gesetz der Geschlossenheit: Geschlossene Figuren werden besser erkannt, offene (unvollständige) eventuell vervollständigt. Dies ist eng mit dem Gesetz der Prägnanz verwandt.
Gesetz des gemeinsamen Schicksals: Objekte, die räumlich gleich ausgerichtet sind oder sich zeitlich in dieselbe Richtung bewegen, werden gruppiert. Als Beispiel kann man z.B. Pfeile aufführen, die in dieselbe Richtung zeigen.

Folgerungen für User Interfaces

Einige der oben aufgeführten Gesetze erscheinen in Hinsicht auf die Gestaltung von Benutzeroberflächen besonders relevant und sollen nun dahingehend betrachtet werden.

Gesetz der Prägnanz: Eine klare Strukturierung von Benutzeroberflächen ist wichtig. Klare Anordnungen von Elementen helfen dem Benutzer das Interface in seiner Gesamtheit schneller zu erfassen und erleichtern somit den ersten Umgang. Unklarheiten bieten dem Benutzer Interpretationsspielraum und können so verwirrend wirken.
Gesetz der Ähnlichkeit: Elemente die logisch zusammengehören sollten ähnlich gestaltet werden, damit diese Zusammengehörigkeit vom Benutzer erkannt wird. Damit wird es ihm erleichtert Funktionen miteinander in Verbindung zu setzen. Jene werden damit voneinander ableitbar und transparent und somit schneller erlern- bzw. bedienbar.
Gesetz der Nähe: Elemente die logisch zusammengehören sollten auch räumlich zusammen gruppiert werden. Dies erleichtert dem Benutzer das Suchen nach Elementen und Information.
Gesetz von Figur und Hintergrund: Der Hintergrund sollte klar als solcher erkennbar sein. Halbtransparente Hintergrundbilder können zu Ununterscheidbarkeiten mit den Elementen im Vordergrund führen. Falls merkmalsschwache Elemente im Vordergrund (z.B. kleiner Text) gegen einen dominanten Hintergrund gesetzt werden muss, kann man zumindest versuchen, dies durch eine starke Kontrastwahl zu verbessern.
Gesetz der Erfahrung/Erwartung: Wenn Benutzer oft mit derselben Benutzerschnittstelle arbeiten, sammeln sie eine gewisse Erfahrung. Dies kann dazu führen, dass auftretende Fehler übersehen werden, weil der Benutzer nach zigmaligem Betrachten einer bestimmten Seite den Inhalt nicht mehr genau kontrolliert. Es kann daher also in Fällen, z.B. im Umgang mit wichtigen Daten, sich von den eigenen Designrichtlinien zu entfernen, um ein höheres Maß an Aufmerksamkeit zu bekommen.

Fazit

Die Begründung der Gestalttheorie liegt lang vor dem modernen Computerzeitalter und den heute so komplexen Anforderungen an Benutzerschnittstellen. Dennoch haben sie in vielen allgemeinen Designfragen ihre Gültigkeit bewiesen und stellen damit eine Grundlage für das Design von User Interfaces dar. Die Gestaltgesetze stellen die wesentlich Punkte der Theorie in Bezug auf die menschliche Wahrnehmung heraus und können daher sehr wohl dazu dienen, Regeln für bessere Benutzerschnittstellen zu suchen, zu finden und letztendlich umzusetzen.

Quellen

http://de.wikipedia.org/wiki/Gestaltpsychologie
http://de.wikipedia.org/wiki/Gestalttheorie
http://en.wikipedia.org/wiki/Gestalt_perception
http://www.gestalttheory.net/gta/index.html
Max Wertheimer (1924): Über Gestalttheorie. Vortrag vor der KANT-Gesellschaft, Berlin, am 17. Dezember 1924. - http://www.gestalttheory.net/gta/Dokumente/gestalttheorie.html
http://www1.cs.columbia.edu/~paley/spring03/assignments/HW6/es481/
http://www.ship.edu/%7Ecgboeree/gestalt.html
http://www.design-usability.de/wahrnehmung_gestaltgesetze.html