Speed Reading

Wenn Sie schnell sind, lesen Sie diesen Artikel in zwei Minuten!

Wolfgang Schwedler

Einleitung

Ein normaler Mensch liest mit einer Geschwindigkeit von 200-400 Wörtern pro Minute[WpM], wobei sich der Großteil eher am unteren Ende, der 200 WpM Grenze, ansiedelt. Interessanterweise steigt die Lesegeschwindigkeit vom Schulkind(200 WpM) bis zur universitären Ausbildung(400 WpM), in der man unter Druck schneller Lesen kann, stark an, doch fällt sie danach tendenziell beim Erwachsenen wieder auf das Schulkindniveau von 200 WpM ab. Außerdem spielt auch das Verständnis des gelesenen Textes eine wichtige Rolle. Dies wird in Prozent gemessen und anhand von multiple-choice Aufgaben am Ende eines jeden Lesetests ermittelt.

Bei einer steigenden Anzahl der Publikationen und immer noch schnellen Ausbreitung des Informationsangebotes im Internets, befinden wir uns in einem Zeitalter der Informationsexplosion, dem man beim genaueren Betrachten durch eine schnellere Bearbeitung und stärkere Selektierung des Informationsmaterials begegnen kann.

Das Speed Reading ist eine erlernbare Technik zum schnelleren Lesen, die auf den Fähigkeiten des normalen Lesens aufsetzt. Sie setzt auf die unbenutzten Fähigkeiten des Gehirns große Datenmengen zu verarbeiten und die Fähigkeit des menschlichen Auges größere Partien des Eingabematerials buchstäblich zu „fotografieren“. Dabei können Lesegeschwindigkeiten von 1000-4000 WpM erreicht werden. Beim Überfliegen können bis zu 10000 WpM gelesen werden. Dies ist v.a. bei übergroßen Mengen an Lesematerial vom Vorteil, weil man sich nach dem Überfliegen den ausgewählten wichtigsten Themen erneut konzentrierter widmen kann.

Ziel

Das Ziel des Speed Readings ist es, das normale Leseverhalten derart zu verändern und zu verbessern, sodass eine Steigerung des Lesetempos bei gleichbleibendem Verständnis und dauerhafter Abspeicherung im Gedächtnis erzielt werden kann.

Geschichtliche Entwicklung

Die wissenschaftlichen Anfänge des Speed Readings finden sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder. Die englische Luftwaffe Royal Air Force setzte im Ersten Weltkrieg zu Trainingszwecken der Piloten eine Aufblendtechnik zur Flugobjekterkennung ein. Bei dieser Methode wurde die Mustererkennung der Piloten geschult, freundliche und feindliche Flugzeuge in kürzester Zeit in sehr unterschiedlicher Entfernung zu erkennen. Dazu verwendete man einen Diaprojektor, der Luftkampfszenen anfänglich mit großen Abbildungen lange Zeit, später winzige Darstellungen in 1/500 Sekunde abbildete. Das Training war erfolgreich.

Man übertrug diese Technik, auch Tachistoskop-Technik genannt, auf das Lesen und erhielt Lesegeschwindigkeiten von ca. 400 WpM. Häufig fielen diese erreichten Werte nach dem Training wieder zurück auf die Ausgangsleistung von ca. 200 WpM.

In den Sechziger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts entdeckte die Forscherin Evelyn Wood Möglichkeiten größere Bereiche beim lesen zu „fotografieren“, was zu einer Steigerung von bis zu 1000 WpM führte. Nach weitern Jahrzehnten der Forschung nimmt das Speed Reading heutzutage lediglich die Rolle einer Zusatzqualifikation ein und wird in besonderen Kursen und Seminaren angeboten. Einzug in Schulen oder Universitäten hielt die Technik auf breiter Ebene noch nicht. Außerdem scheint die Technik eher im angel-sächsischen Raum verbreitet zu sein als in Zentral Europa.

Vorherrschende kritische Meinung

Die schleppende Ausbreitung hängt wahrscheinlich auch von den Vorurteilen gegen das Speed Reading ab, die zusammengefasst so aussehen könnten:

* Es ist ungeeignet im wissenschaftlichen Bereich.

* Die Technik ist ungeeignet für Poesie und Literatur.

* Detektivgeschichten können nicht überblicksweise gelesen werden.

* Bei schwierigem Stoff muss man wieder so langsam lesen wie zuvor.

* Zum Entspannen oder Vergnügen ist die Technik nicht anwendbar.

Die Könner des Speed Readings behaupten jedoch Gegenteil und belegen dies zumindest durch Verständnis Tests. Zudem reihen sich Größen der Öffentlichkeit in die Riege der Speed Reader, wie z.B. Präsident Franklin D. Roosevelt oder Präsident John F. Kennedy, die dadurch merklichen Erfolg erzielten.

Das Argument zum langsamen Lesen kann jedoch vielleicht schon mit einem einfachen Beispiel abgewiesen werden:

Man hat he raus ge fun den daß Schnelle sen be sser für das Ver ste hen ist als lang sa mes Le sen.

Diese Phänomen kennt man auch aus Gesprächen mit Menschen, die zu langsam sprechen – kurz: es nervt!

Vorgehensweise beim herkömmlichen Lesen

Gelernt hat man das Lesen wahrscheinlich mithilfe einer der zwei folgenden Methoden: Bei der ersten, der Phonetischen Methode werden die Buchstaben mit ihrem Klang präsentiert. Später werden beim Präsentieren von Buchstaben die Laute ausgesprochen. Bei der zweiten Methode, der Schau-und-Sprich Methode werden Bilder präsentiert, die mit dem beschreibenden Wort versehen sind. Beide Methoden gehen dann später zum lautlosen Lesen über, wobei das Lesen mit lautlosen Lippenbewegungen, dem sog. Subvokalisieren, z.T. beibehalten wird. Häufig verwendet man beim Lesen ein Leselineal oder die Finger, um die Leseposition festzuhalten. Beim Lesen bewegen sich die Augen über eine Zeile, dieser Vorgang wird als Sprung bezeichnet, dann bleiben sie an bestimmten Haltepunkten, anfänglich bei jedem Wort, stehen und nehmen das Wort visuell auf(Fixierung). Der Sprung dauert von einer halben Sekunde bis zu anderthalb Sekunden. Die Fixierung bewegt sich im Bereich von einer zwanzigstel - bis zu einer fünfhundertstel Sekunde. Anschließend beginnt man Rücksprünge auf bereits gelesene Wörter zu tätigen, um sicherzustellen, dass man sie wirklich gelesen hat. Bei mathematischen Formeln kann dies oft duzende Male passieren. Die Leserichtung geht in unserem Kulturkreis stets von links nach rechts und in den Zeilen von oben nach unten. Das Springen in eine neue Zeile ist ebenfalls sehr zeitintensiv und variiert je nach Zeilenlänge.

Die Technik des Speed Readings

Das Subvokalisieren begrenzt die Lesegeschwindigkeit auf maximal 400 WpM. Das Abstellen dieser Gewohnheit wird propagiert. Ein weiterer wesentlicher Bestandteil ist das Eliminieren der Rücksprünge innerhalb der Zeilen. Schon hier kann ein deutlicher Geschwindigkeitserfolg gemessen werden. Ein Leselineal oder der Zeigefinger verdecken das Blickfeld. Es sollte zu einem dünneren Zeigestab, z.B. einer Stricknadel, gegriffen werden. Eine kontinuierliche Bewegung kann so als Taktgeber aufgefasst werden. Zum Erlernen der Speed Reading Technik ist dies auch eine angemessene Vorgehensweise, da sich der Mensch als flexibel herausgestellt hat und sich so an höhere Lesegeschwindigkeiten anpassen kann. Außerdem ist das automatische Folgen von Bewegungen in unserem Blickfeld evolutionär sehr stark ausgeprägt, da Gefahren von Bewegungen ausgingen. Um die Anzahl der Sprünge in den Zeilen zu reduzieren, wird das visuelle Blickfeld, das beim herkömmlichen Lesen nur zu 20% benutzt wird, derart erweitert, dass bis zu 10 Zeichen links und rechts des Haltepunktes aufgenommen werden können. Dabei können also mehrere Wörter gleichzeitig aufgenommen werden. Ein Beispiel zeigt dass schönes Gruppieren eines Textes Freude am lesen bereitet. Später wird das Gehirn die Gruppierungen selbst vornehmen.

Es ist entdeckt worden dass das menschliche Gehirn mit Hilfe der Augen Information weit leichter aufnimmt wenn die Informationen in sinnvollen Gruppen zusammengestellt ist.

Die entscheidende Revolution des Speed Readings ist aber das „abfotografierten“ ganzer Bilder mit Text, die im Gehirn zusammengesetzt und analysiert werden. Ebenfalls kann man das visuelle Blickfeld vertikal vergrößern, d.h. man nimmt schon Wörter aus den darüber- und darunter liegenden Zeilen wahr. Den richtig zusammengesetzten Sinn kann unser Gehirn erzeugen. Ein Beispiel für die bereits bekannte Pufferung der Lesedaten wird im folgenden Satz mit den vielen Nebensätzen ersichtlich: “Der Mann, dessen Bruder Egon hieß und Krankenwagenfahrer war und dessen Mutter in einem anderen Stadtteil wohnte und dort eine Bäckerei betrieb, verstarb letzte Woche.“ Im fortgeschrittenen Stadium soll es möglich sein zwei- oder mehrere Zeilen auf einmal aufzunehmen. Ebenfalls bekannt sein dürfte diese Technik beim Lesen von Notenzeilen, wo man die Noten des Violine-Schlüssels und des Bassschlüssels auf einmal aufnimmt. Andernfalls wäre ein „vom Blatt spielen“ nicht möglich. Das Rückwärts Lesen verdoppelt die Lesegeschwindigkeit nochmals, da die zeitintensiven Zeilenrücksprünge entfallen. Als weiteres wird die Leserichtung verändert. Hier unterscheidet man sechs Grundtypen:

Die „S“-Methode

Mit jeweils zwei Zeilen werden die Augen zuerst vorwärts von links nach rechts bis zum Zeilenende bewegt, anschließend in den darunter liegenden zwei Zeilen von rechts nach links. So dann kann die S-Methode in den darunter liegenden Zeilen weitergehen.

Die Zick-Zack Methode

Ähnlich wie die „S“-Methode bedient sich die Zick-Zack Methode einer variablen Anzahl von Zeilen beim Rücksprung von rechts nach links.

Die Schleifen Methode

Sie ist ähnlich zur Zick-Zack Methode beginnt aber von rechts und ist eher rhythmisch gehalten, weswegen sie bei Lesern eher beliebt ist.

Die vertikale Wellenbewegung Methode

Die Augen bewegen sich in rhythmischen Wellen gleichmäßig nach links und rechts den Mittelteil der Seite hinunter. Die vertikale Wellenbewegung ist aus diesem Gesichtspunkt eine ideale Technik, weil sie das Vorwärts- und Rückwärts-Lesen kombiniert und sowohl das horizontale wie auch das vertikale periphere Sehvermögen im größtmöglichen Ausmaß erlaubt.

Die beidseitige Lesehilfe Methode

Auch beidseitige Führungs- oder beidseitige Randtechnik genannt, bedeutet die Verwendung von zwei Lesehilfen, oft ein Finger oder Daumen auf einer Seite und die übliche Lesehilfe auf der anderen, wobei sich beide gemeinsam gleichmäßig die Seitenränder hinunter bewegen, während die Augen die dazwischenliegende Information verschlingen. Diese Technik ist ausgezeichnet dafür geeignet, Ihr Gehirn die Bewegungsrichtung der Augen bestimmen zu lassen.

Die langsame „S“ Methode

Hier werden die beiden grundlegenden Elemente der „S“-, der Zick-Zack- und der vertikalen Wellen-Methode verbunden. Sie könnte auch als die erweiterte Version dieser Methoden angesehen werden. Bei dieser Technik wird einfach eine lange Reihe normale und umgedrehte ,,S" die Seite hinunter gebildet, wobei man üblicherweise mit fünf horizontalen oder leicht vertikalen Bewegungen an das Ende der Seite gelangt.

Die Technik des selektiven Speed Readings

Auch Überfliegen genannt, macht sich die Technik das Vorwissen zunutze. So werden die wichtigsten Informationen aus einem Text selektiert, wobei man sich dadurch einen Überblick über das Lesematerial verschafft. Dies kann bei einer Flut von Texten oder Bildschirmseiten zum großen Vorteil erweisen. Hier werden Lesegeschwindigkeiten von 1000 WpM erreicht. Eine noch vorgeschrittenere Art kann 10000 WpM verarbeiten.

Zusätzliche einflussreiche Faktoren

Für die eben genannte Technik, dem selektiven Lesen ist ein großes Vorwissen an Vokabular aber auch im Gehirn befindlicher „Bilder“, welche Situationen, Gefühle oder Modelle beschreiben, notwendig. Ersteres, nämlich Vokabeln kann man sehr aktiv trainieren, zweiteres durch das unten genannte Mind Mapping. Zum Lesen empfiehlt sich das angemessene Licht, das Tageslicht. Ohne Interesse am Thema, sinkt die Aufnahmebereitschaft und die Lesegeschwindigkeit. Hervorragende Konzentration ist Vorraussetzung, dementsprechende Pausen sind auch beim Lesen einzuhalten. Unter Verwendung einer anderen Technik, dem Mind Mapping(Technik zur Erstellung und Nutzung von „Gehirn Karten“), lässt sich auch das Behalten des Textes verbessern.

Literatur

Tony Buzan: Speed Reading, schneller lesen - mehr verstehen - besser behalten, mvg-verlag, 1997