Lesen im World Wide Web

(c) Tobias Lang, 2003

Inhalt

Einleitung

Die Fähigkeit zu Lesen ist beinahe selbstverständlich, und doch ein sehr komplexer Prozess. Es ist mit einer grossen kognitiven Leistung verbunden, einen Text in sich aufzunehmen und die Mitteilung des Autors zu erkennen und zu verstehen. Dabei liest jeder Mensch anders, schon die Geschwindigkeit variert stark. Es ist auch ein Unterschied ob wir ein Buch lesen oder eine Homepage im Internet. Gerade bei Letzterem gibt es keine Jahrhunderte alte Erfahrung über guten Schreibstil und Aussehen. Dementsprechend sind sie meistens nicht für die Möglichkeiten und Beschränkungen des Internets optimiert. Im folgenden wird das Lesen von Texten im Internet einmal genauer beleuchtet und es werden Möglichkeiten gezeigt Texte lesefreundlicher zu gestalten.

Geschichte der computergestützten Textverarbeitung

Das Texte überhaupt in elektronischer Form vorliegen, ist der Textverarbeitung zu verdanken. Die Textverarbeitung, wie wir sie heute kennen, hat ihre Ursprünge in der Schreibmaschine. Damals benutzte man Band-Rekorder um getippte Zeichen aufzunehmen, um sie später wieder abzuspielen. Dies löste ein nicht unerhebliches Problem zu dieser Zeit. Hatte man einen Text getippt, wurde dieser oft nachträglich korrigiert. Beim nächsten Tippen schlichen sich aber leicht neue Fehler ein. Durch die Automatisierung konnten die schon richtigen Textpassagen jedesmal fehlerfrei zu Papier gebracht werden. Die frühe Textverarbeitung war noch stark seitenorientiert. Um zusätzliche Zeilen in einen Text einzufügen, musste man den vorhandenen Text manuell Seite für Seite verschieben. Erst der Übergang zu einen Dokumenten-Modell und das Aufkommen von erschwinglichen Videosystemen brachte hier den Durchbruch. Seitenumbrüche wurden nun mit speziellen Kommandos eingeleitet, ebenso wie andere Formatierungsmöglichkeiten. Der Grundgedanke allerdings änderte sich nie. Textverarbeitungssysteme haben immer die Ausgabe auf Papier zum Ziel. Deswegen sind sie für die Aufgaben des WWW nur sehr beschränkt geeignet.


Was ist ein Web-Dokument

Es gibt viele Versuche den Begriff Web-Dokument bzw. Hypertext genau zu definieren. Oft können diese aber nur Teilaspekte der Thematik abdecken. Praktischer ist es, Hypertext einfach zu beschreiben. Web-Dokumente sind demnach beliebig verlinkte Bildschirm-Seiten, die Texte, Bilder aber auch andere Medientypen beinhalten können. Hinzu kommt die Fähigkeit, beliebigen Flächen ein eigenes Scrolling zu geben. Die letztendliche Link-Struktur ist dabei nicht entscheidend. Es kann sich um einen linearen Verlauf handeln (ähnlich den Seiten eines Buches) um einen Kreis (z.B. Bildgalerie), einen Sternförmigen ("zurück zum Hauptmenü") u.a. Dabei ist eine Mischung verschiedener Arten durchaus üblich. Gerade diese Verknüpfungen verlangen vom Leser eine Umstellung seiner traditionellen Lesegewohnheiten.


Lesen im Web

Nachteile durch den Bildschirm

Viele Studien haben es schon belegt und einem selbst ist es auch schon aufgefallen. Lesen am Bildschirm ist anstrengender verglichen mit Papier. Vor nicht allzu langer Zeit spuckte noch die Vision vom papierlosen Büro durch die Medien, das Gegenteil ist eingetreten. Billige Druckkosten verleiten dazu, jeden Text der länger als ein paar Seiten ist, auf Papier auszugeben um ihn sich in Ruhe zu Gemüte zu führen. Es gibt für dieses Phänomen eine Reihe von Gründen. Die Bildschirmqualität spielt mit Sicherheit eine Rolle. Die Auflösung eines Monitor ist verglichen mit gedrucktem immer noch gering, und bei den noch immer stark verbreiteten Kathodenbildschirmen wirkt eine zu niedrige Bildwiederholfrequenz ermüdend. Auch die Körperhaltung ist anders. Wenn wir lesen senken normalerweise den Kopf - der Bildschirm verlangt von uns, ihn geradeaus bzw. nur leicht geneigt zu halten. Am entscheidensten könnte aber der "Wohlfühlfaktor" sein. Wer nimmt nicht schon mal einen komplizierten Text und legt sich damit gemütlich auf die Couch, vielleicht noch bei beruhigenden Klängen aus der Stereoanlage. Papier können wir mitnehmen wohin wir wollen, es ist leicht und flexiblel. Ein Bildschirm, aber auch Notebooks bieten uns diesen Komfort nicht. Die starke Ortsgebundenheit verhindert es, sich eine optimale Umgebung zu schaffen. Dadurch wird es Anstrengender sich zu Konzentrieren, die Leseleistung nimmt ab.

Nachteile von Hypertext

Unsere visuelle Wahrnehmung geschieht auf zwei Arten. Das zentrale Gesichtsfeld erfasst einen kleinen Bereich, in dem wir scharf sehen und die beste farbwahrnehmung haben. Mit diesem Feld erfassen wir Wörter und verstehen sie. Mit dem peripheren Gesichtsfeld werden vor allem Bewegungen wahrgenommen. Tritt eine solche z.b in Form eines Werbebanners auf, veranlasst uns der Orientierungsreflex diesen bereich kurz "anzuvisieren" um ihn genauer zu begutachten. Diese Eigenschaft wird zwar von der Werbewirtschaft begrüsst, allerdings wird der lesefluss dadurch empfindlich unterbrochen. Natürlich ist es möglich alles Blinkende scheinbar zu ignorieren, in Wirklichkeit nimmt das aber auch etwas von unsere Aufmerksamkeit in Anspruch, die wir doch eigentlich zum Lesen bräuchten. Alle diese Faktoren lassen die Lesevermögen im Internet um ca. 10-20% sinken.

Man liest anders

Da "online"-Lesen anstrengender ist, versuchen die Nutzer möglichst wenige Wörter zu aufzunehmen. Lesen im Web unterscheidet sich deshalb von der traditionellen Art. Web Inhalte werden "gescannt" mit dem Ziel möglichst schnell den Inhalt zu erfassen bzw. zu verwerfen um die Suche fortzusetzen. Dies ist auch notwendig, denn anders als bei Büchern, bei denen man den Inhalt schon vorher ziemlich gut einschätzen kann, ist im Web die Information verteilt. Oft lassen sich zu einem Thema hunderte Seiten finden, von denen sich dann nur eine handvoll als wirklich brauchbar herausstellt. Eine schnelle Selektion ist hier unbedingt angebracht. Jakob Nielson führt noch andere Beweggründe für das "scannen" an. Das Webseiten-Hopping wird z.b auch dadurch begünstigt, dass der Nutzer aktiv sein möchte, anstatt minutenlang ruhig zu lesen.


Kognitive Prozesse beim Lesen

Wenn wir einen Text lesen, versuchen wir ihn zu verstehen. Ob dies gelungen ist, sich also ein Verständnis entwickelt hat, lässt sich anhand mehrerer Kriterien nachprüfen.
Der Leser muss demnach in der Lage sein,

Wenn wir lesen, setzen wir in unserem Gehirn einen vorgegebenen Ablauf in Gang. Diese kognitiven Prozesse, lassen sich ein drei Kategorien einordnen. Die Worterkennung ist das bildliche Wiedererkennen uns bekannter Wörter. Diese wird entscheidend von Umständen wie Schriftgröße, Schriftart und Layout beeinflusst, aber auch vom eigenen Wortschatz, sowie der persönlichen Lesefähigkeit. Die syntaktische Analyse, fügt die einzelnen Wörter anhand der verinnerlichten Grammatik zu Sätzen zusammen. Bei der semantischen Verarbeitung wird das vorhandene Wissen genutzt um dem gerade gelesen einen Sinn zu geben. Dies geschieht im Kurzzeitgedächtnis. Inhalte des Textes werden mit Vorwissen abgeglichen, mit dem Ziel ein in sich stimmiges mentales Modell zu erschaffen. Ist dieser Prozess erfolgreich, gelangt das Modell ins Langzeitgedächtnis.


Behalten von Gelesenem

Entscheidend für erfolgreiche Speicherung im Langzeitgedächtnis ist schon die Kapazatität des Kurzzeichtgedächtnisses, in dem der Verständnisprozess abläuft. Schon früh wurden in der Gedächtnispsychologie Experimente durchgeführt um die Gedächtniskapazität zu ermittlen. Das Ergebnis: Der Mensch kann sich ca. sieben "Chunks" merken. Ein "Chunk" kann als Container für ähnliche Objekte angesehen werden. Ein anschauliches Beispiel: Die Buchstaben 'o m a r i k t f i n' wird man sich nicht ohne Anstrengung merken können. Gruppiert man sie allerdings anders entsteht daraus "Informatik" - Die Buchstaben wurden zu einem "Chunk" zusammengefasst, der sich ohne weiteres behalten lässt. Gerade im Web sollte man sich diese Erkenntnis zu Nutze machen, und versuchen Information zu Gruppieren, damit das Gehirn sie alle gleichzeitig miteinander in Beziehung bringen kann. Allerdings ist in der Realität oft nicht gewährleistet, dass sich die Nutzer sieben "chunks" merken können. Äussere Ablenkungen, geringe Motivation und anderes kann die Anzahl deutlich verringern.


Optimierungsmöglichkeiten im Web

Beachtet man ein paar Designprinzipien ist es durchaus möglich dem Besucher einer Website "unter die Arme zu greifen" und ihm ein komfortables und leicht verständliches Informationsangebot zu bieten. Da Verständlichkeit auch eine Frage der eigenen Motivation ist, sollte der erste Eindruck einer Homepage möglichst positiv ausfallen. Klare Navigation, verzicht auf Bannerwerbung, freundliche Farben, und ein gut strukturiertes Layout helfen hierbei enorm. Die Texte sollten sprachlich eher simpel gehalten sein, mit Hervorhebung von Schlusselwörtern und Sub-Überschriften für einzelne Paragraphen. Damit werden die Texte "scan-freundlich" und der Besucher kommt schneller an sein Ziel. Besondere Aufmerksamkeit sollte man den Links schenken. Ein guter Link ist sofort als solcher erkennbar und hat einen aussagekräftigen Namen. Ist ein prägnanter Name nicht ohne weiteres möglich, so ist es am besten man schreibt einen kleinen Kommentar dazu.


Schlussbetrachtungen

Leider setzt sich die Erkenntnis, das Text nicht gleich Text ist, im Internet nur langsam durch. Viel zu oft werden simple Designprinzipien ignoriert, die Folge sind Webseiten die viel von ihrem Potential einbüßen. Berücksichtigt man aber die Besonderheiten die das Internet mit sich bringt, lassen sich ohne viel Mühe Webseiten erstellen, die den User einladen etwas zu verweilen...

Linkliste

http://www.linse.uni-essen.de/linse/esel/arbeiten/sprachoptimierung_web.html

http://www.gooddocuments.com/

http://www.kommdesign.de/

http://www.useit.com/alertbox/whyscanning.html

http://www.webwriting-magazin.de/webwriting/blmain.htm

http://www.webwriting.ch/gestalt/gestalten2.html