Übung zur Vorlesung „Mensch Maschine Interaktion“

Essay zum Thema „Lesen und Verstehen von Hypertext“

von Florian Block

Einleitung

Gerade durch die Einführung des Internets wurde die klassische Literatur in den letzen Jahren verstärkt durch die elektronischen Medien ergänzt. Neben entsprechenden Abbildungen der traditionellen Bücher, den sog. E-Books, finden zusätzlich innovativere non-lineare Gliederungskonzepte Verwendung.

Hypertext

Beim herkömmlichen linearen Schreiben werden die Informationen, gegliedert in Kapitel, Absätze und Seiten, sequenziell aneinandergehängt. Ganz im Gegensatz dazu strukturiert das sog. Hypertextkonzept seine Informationen in verschiedenen Knoten (Nodes) und verbindet diese durch Verknüpfungen (Links). Diese non-lineare Form der Informations-Verteilung kann ähnlich eines semantischen Netzes auch als ein Informationsraum gesehen werden. Hinzu kommt die Einbindung vieler Multimedia-Objekte, die parallel zum Textfluss dargestellt werden. Es unterscheidet sich also in vielerlei Hinsicht von traditionellen Konzepten. (vgl. Henning, S. 540 – 541)

Begrifflichkeit

Im Weiteren ist es wichtig zwischen (Hyper-)Textverständnis und (Hyper-) Textverständlichkeit zu unterscheiden. Textverständnis ist Rezipienten-zentriert wobei Faktoren wie Alter, Geschlecht, Kenntnisse, Kompetenz und Vorwissen eine entscheidende Rolle spielen. Textverständlichkeit hingegen resultiert aus Inhaltlichen, Medien-bezogenen und Gestalterischen Variablen.

Zudem wird es wichtig sein den Prozess des Verstehens zu analysieren und im Hinblick auf weitere Untersuchungen exakt zu definieren. Silke Jahr hat diesbezüglich fünf Kriterien für das Verstehen von Texten genannt (vgl. Jahr, S. 41 – 45):

(1) Korrekte Reproduktion des Textes bzw. wesentlicher Inhaltlicher Aspekte

(2) Wiedergabe des Textes mit den eigenen Worten

(3) Fähigkeit implizite sowie explizite Fragen zum Text korrekt zu beantworten

(4) Korrekte Zusammenfassung des Textes

(5) Ausführung textimmanenter Instruktionen bzw. Anschlusshandlungen

Sprachliches Verständnis ist also nicht nur eine einfache kognitive Repräsentation sondern ein komplexer, konstruktivistischer Vorgang.

Psychologische Grundlagen

Aus der obigen Definition von Verstehen resultiert die Frage, in welchen Schritten ein Leser sich genannte Vorraussetzungen aneignet. Folgende Ebenen sind in diesem Zusammenhang zu nennen:

(1) Worterkennung

(2) Syntaktische Analyse

(3) Semantische Verarbeitung (vgl. Lutjeharms, S. 111-137.)

Worterkennung

Der visuelle Teil der Textverarbeitung ist das einfache Erkennen von Wörtern. Hierbei spielen sowie Nutzer-bezogenen Variablen wie kognitive Prädisposition, Leseerfahrung bzw. –Geschwindigkeit und Wortschatz als auch Medien-bezogene Apkekte wie Textoberfläche, typografische Merkmale und gestalterische Umsetzung eine große Rolle. (vgl. Tauber, S. 18)

Syntaktische Analyse

In diesem Schritt versucht der Leser, die äußerlichen Merkmale der Satz- bzw. Wortbestandteile richtig anzuordnen und analysiert damit die Oberflächensturktur.

Semantische Analyse

Zuletzt versucht der Leser die erhaltenen Bausteine mit seinem individuellen Wissen abzugleichen, und führt somit eine Tiefenanalyse des Inhalts durch. Hierbei kann man zwischen zwei mentalen Strategien unterscheiden:

(1) Bottom-up: Der Leser nutzt zum Verstehensprozess eigenes Hintergrundwissen.

(2) Top-down: Der Leser wertet Strukturen und Informationen des Textes aus

In beiden Fällen kommen die Prinzipien der Inferenz und der Elaboration zum Einsatz. Unter Inferenz versteht man den Vorgang, in dem unter Einbeziehung seines Hintergrundwissens und bestimmter Annahmen Zusammenhänge herstellt werden, die der Text nicht explizit enthält. Elaboration ist hierbei eine besondere Form der Inferenz die Zusammenhänge zu anderen Wissensgebieten über den Text hinaus herstellt. Beide Prinzipien haben kreativen Character und sind zudem stark Motivations-abhängig. (vgl. Strohner, S. 129 – 137)

Alles in allem führt zur Bildung eines Mentalen Models welches man of als Kohärenzgraphen bezeichnet. In ihm werden alle für sinnvoll erachteten Informationen sowie die durch Inferenz und Elaboration gewonnen Querverbindungen in einem subjektiv schlüssigen Modell integriert. Die Entstehung solcher Graphen kann nachweislich durch Bilder, Grafiken und Abbildungen unterstützt und gefördert werden. (vgl. Tauber, S.19)

Verständlichkeit

Die reibungslose Bildung eines Kohärenzgraphen kann also vom Schreiber beeinflusst werden. Zwar kann er seinen Text nicht für jeden Leser gleich verständlich verfassen, hat aber die Möglichkeit sowie Propositionsdichte (Anzahl der Propositionen pro hundert Wörtern) als auch die Argumentdichte (durchschnittliche Anzahl verschiedener Argumente pro Proposition) Leser-freundlich zu gestalten.

Weitere Faktoren sind eine möglichst einfache Wortwahl, eine übersichtliche Strukturierung durch Absätze und Überschriften und die sinnvolle Nutzung von Hervorhebungen.

Unverständlichkeit hingegen resultiert vor allem aus mangelnder Kohärenz und schlechter Sprache, d.h. Fehler in Satzbau und Grammatik, schlechter Ausdrucksweise und Wortwahl (dabei sei die exakte Analyse, ob und wann Sprache als schlecht bezeichnet werden kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht erwähnt). (vgl. Tauber, S. 5)

Verständlichkeit in Hypertext-Dokumenten

Alle bereits aufgeführten Aspekte wurden bis jetzt nur im Bezug auf lineare Textabschnitte erwähnt. Es ist zu erwarten, dass das vor allem Kohärenz in nicht-linearen Strukturen wie die von Hypertext schwieriger erreichen werden kann als bei sequentiellen. Die Ursache dafür liegt vor allem in dem Problem, dass der Benutzer eigenständig entscheidet, in welcher Reihenfolge er welche Knoten besucht und sich somit eine individuelle Kohärenz aufbaut. Hierbei steht weniger die lokale Kohärenz (in Sätzen und Absätzen) sonder vielmehr die globale (zwischen den Knoten) im Vordergrund. Zusätzlich führt wiederum die Notwendigkeit zur Entscheidung zu einer weiteren Belastung des Lesers und somit zur Reduzierung der kognitiven Ressourcen. Im schlimmsten Fall erfolgt dadurch die Überlastung und somit die Aufgabe des Users. (vgl. Ipsen, S. 26.)

Konsequenzen

Es ist also eine wesentliche Aufgabe von Hypertext-Verfassern, dem Leser alle Möglichkeiten und Hilfen zum Aufbau eines eigenen, globalen Kohärenzmodells zu geben.

Technische Mittel dafür sind z.B. textliche oder Grafische Navigationshilfen die dem Nutzer Orientierung über globale Zusammenhänge bieten. Einem interner Link kommt dabei unter diesem Aspekt zwar eine Referenzfunktion zu, die aber ohne entsprechende Erläuterung noch kein Mittel zu Kohärenzbildung ist. Erst durch eine erläuternde Beschreibung kann sich ein User entscheiden, ob der ausgewiesene Knoten zur Bildung seines Kohärenzmodells dient oder nicht. Dabei kann die Erläuterung sowohl sprachlicher als auch grafischer Natur sein.

Des Weiteren müssen auch die Anpassung herkömmlicher Faktoren wie Schriftattribute und lokaler Strukturierung als auch sprachlicher Elemente erfolgen. Parallel dazu, muss sich der Autor um die nicht lineare Strukturierung seiner Inhalte kümmern. (vgl. Ipsen, S. 27 f.)

Aus diesem Umstand ergibt sich jedoch wiederum die Notwendigkeit, die eigentlichen Knoteninhalte entsprechend zu gestalten. So muss der Schreiber über Umfang und Formulierung der Texte an die jeweilig vorgesehene Tiefe im Kohärenzgraphen anpassen.

Die  Problematik kann also als dynamisch-rückgekoppelter Prozess gesehen werden, dessen Resultat im optimalen Fall mit dem Nutzer-spezifischen Kohärenzmodell übereinstimmt.

Abschließende Gedanken

Als abschließendes Beispiel und mögliche Lösung der erwähnten Problematik möchte ich an dieser Stelle einen Ansatz von  Jakob Nielsen erwähnen. Er schlägt vor, die Seitenstrukturierung anhand einer sog. umgekehrten Pyramide („inverted pyramid“) zu gestalten, d.h allgemeine und umfassende Informationen an die Oberfläche (weiter oben liegende Hirarchie-Ebenen), spezielle und weiterführende Informationen in tieferen Ebenen einzuordnen. Unterstützt durch sinnvolle Quer- und Tiefen-Verknüpfungen soll dem User die Bildung seines eigenen Kohärenzgraphen auf diese Weise wesentlich erleichtert werden. (Nähere Informationen unter http://www.useit.com/alertbox/9606.html)

Literatur- und Onlineverzeichnis

Hautzinger, Nina (1999): Vom Buch zum Internet?: eine Analyse der Auswirkungen hypertextueller Strukturen auf Text und Literatur. St. Ingbert: Röhrig.

Henning, Peter. A (2003): Taschenbuch Multimedia. Leipzig: Fachbuchverlag Leipzig

Ipsen, Guido: Dynamische Verweise in Hypertexten. Zur Verwendbarkeit von Metaphern bei der Hypertextproduktion. In: Jakobs (1999)

Jahr, Silke (1996): Das Verstehen von Fachtexten: Rezeption, Kognition, Applikation. Tübingen: Narr

Lutjeharms, Madeline: Einführung zum Themenbereich III: Leseforschung. In: Spillner (1995)

Nielsen, Jakob(1996): Inverted Pyramids in Cyperspace. In: Jakob Nielsen´s Alertbox for June 1996. http://www.useit.com/alertbox/9606.html

Spillner, Bernd (Hrsg., 1995): Sprache: Verstehen und Verständlichkeit. Kongressbeiträge zur 25. Jahrestagung der Gesellschaft für Angewandte Linguistik GAL e.V. Frankfurt a.M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Langen.

Strohner, Hans (1995): Semantische Verarbeitung beim Lesen. In: Spillner (1995).

Tauber, Marianne (1984): Leserangepasste Verständlichkeit: der Einfluss von Lesbarkeit und Gliederung am Beispiel von Zeitungsartikeln. Bern: Langen.