Das Konzept des Hypertextes gehört sicherlich zu den Dingen, die man
als „Grundbausteine“ des Internet bezeichnen könnte. Im
allgemeinen Sprachgebrauch wird sogar oftmals der Begriff „Internet“ mit
seiner Hypertext-Anwendung „WorldWideWeb“ gleichgesetzt – der
Hypertext macht das WWW letztendlich zu dem, was es ist, nämlich ein
weltumspannendes Informationsnetz.
Es stellt sich da natürlich die Frage, was den Hypertext nun im Vergleich
zu herkömmlichen Texten ausmacht und wie sich die Aufnahme von Informationen
unterscheidet. Wenn das WWW als Informationskanal jeglicher Art genutzt
werden soll, und das wird es, dann braucht man natürlich Antworten
auf diese Fragen, um Anwendungen oder Webseiten in Bezug auf ein gewünschtes
Ziel verbessern zu können. Wichtige Themen sind hier z.B. der Lernerfolg
in E-Learning-Systemen, oder auch die richtige Präsentation von Produktinformationen
auf einer kommerziellen Werbe-Seite. In dem Umfang des vorliegenden Aufsatzes
kann das Thema nicht ganz umfasst werden, daher soll hier nur auf einzelne
Punkte beispielhaft eingegangen werden, um einen Einstieg in das Thema zu
bekommen.
Das Konzept des Hypertextes ist natürlich schon älter als das
Internet und existiert auch als Anwendung in anderen Systemen – durch
die massenhafte Verbreitung des Internets, die ja auch nicht zuletzt durch
das WWW bewirkt wurde, wird die Hypertextualität bei Computertexten
allerdings als selbstverständlich angesehen und nicht als „feature“ wahrgenommen
oder hervorgehoben – ein Beispiel sind elektronische Nachschlagewerke,
die ja fast die perfekte Anwendung für Hypertext sind.
Das Konzept existiert schon aus den 40er Jahren als Vision eines „Memex“ (Memory
Expander), der in der Informationsstruktur dem menschlichen Gehirn ähnlich
sein soll (Bush, 1945) – die Idee ist, dass Informationen, die untereinander
durch „Links“ vernetzt sind, besser in das Informationsnetz
des Gehirns übertragen werden können. Erste Systeme wurden in
den 70ern realisiert, bis schließlich 1989 das WWW erfunden wurde.
Die Frage ist natürlich nun, ob die Aufbereitung von Informationen
als Hypertext wirklich den menschlichen Denkprozessen entgegenkommen. Als
zentrale Konsequenz der Hypertextualität ist hier der „Selektionszwang-
oder druck“ (Wirth, Schweiger, 1999 : S.48) zu nennen. Während
sich ein Benutzer bei einem normalen Zeitungsartikel nur einmal für
das Lesen entscheiden muss und danach nur noch zwischen den beiden Alternativen „weiterlesen“ und „aufhören“,
stehen bei einem Hypertext permanent Entscheidungen an. Jeder Link innerhalb
eines Textes ist dabei ein „Lesebremser“ (Schweiger, 2001 :
S.93), der den Lesefluss unterbricht und vom Benutzer eine Entscheidung
verlangt. Im Extremfall kann ein Link dann auch zu einem „Leseabbrecher“ (Schweiger,
2001 : S.94) werden, wenn der Benutzer nicht mehr zur Ursprungsseite zurückkehrt,
oder nicht mehr zurückfindet – man merkt hier, dass auf Seiten
des Benutzers zusätzlich ein großer kognitiver Aufwand erforderlich
ist, um die mit der Hypertext-Struktur umzugehen. Außerdem sind Hypertextseiten
zumeist recht kurz, sodass man nicht wie bei einem linearen Artikel „automatisch“ weiterlesen
kann, sondern man muss sich am Ende von jedem Abschnitt für die weitere
Richtung entscheiden (Wirth, Schweiger, 1999 : S.48).
In einer Studie des IFKW zu diesem Thema wurde bei den Versuchspersonen
beobachtet, dass sie aus einem „linearen“ Text, der Detailinformationen
direkt enthält, mehr Wissen gewinnen konnten, als aus der „fragmentierten“ Version,
die einer Webseite mit kurzen, untereinander verlinkten Texten entspricht
(Wirth, 2003). Diese Dinge könnten darauf hinweisen, dass, beim Lernen
von klar definierten Inhalten, ein linearer Text besser in unsere Denkstruktur überführt
werden kann. Ein Hypertext bietet hier zu viele Ablenkungen und erfordert
einen erhöhten kognitiven Aufwand.
Eine weitere Studie hat allerdings gezeigt, dass beim Hypertext ein Übungseffekt
auftritt – d.h. bei mehrfacher Nutzung wird der Wissenserwerb gesteigert
(Wirth, 2003).
Ein anderes Bild wird sich ergeben, wenn man von einer relativ allgemeinen
Informationsanforderung ausgeht – will man sich z.B. über ein
bestimmtes Land informieren, bietet einem die Hypertext-Struktur die Möglichkeit,
Unwichtiges leicht zu übergehen und bei Interessantem ins Detail zu
gehen. Man spricht hier allgemein vom „Browsen“. Es ist dabei
natürlich erforderlich, zunächst einmal angebotene Links auf ihre
Relevanz zu überprüfen, bevor man sie klickt, also wieder unzählige
Selektionsentscheidungen und dann, bei erfolgter Entscheidung die entsprechende
Seite zu „scannen“. Beim diesem Scan-Vorgang werden zunächst
Titel, Überschriften, Bilder und andere auffällige Elemente überflogen,
um den Nutzen der Seite einzuschätzen (Schweiger 2001 : S.85). Dabei
wird auch versucht, im Text bestimmte Schlüsselbegriffe auszumachen,
oder auch bestimmten Muster (Zitate, hervorgehobener Text). Erst nach diesem „Scan“ wird
sich der Benutzer entscheiden, ob er sich der Seite wirklich zuwendet, oder
ob er sie verlässt – das ist also ein wichtiger Punkt, der bei
der Konzeption der Seite / des Hypertextes zu beachten ist (siehe „Fazit
/ Anwendung).
Man konnte durch Laborexperimente herausfinden, „dass (a) die linke
Bildschirmhälfte mehr Aufmerksamkeit erhält als die rechte, und
(b) die obere Hälfte eindeutig öfter beachtet wird als die untere“ (Schweiger,
2001 : S.88). Durch ein Mouse-Tracking fanden Diekamp&Schweiger heraus,
dass 73% aller Objektfixationen in der oberen Bildschirmhälfte, 20%
in der untern und bloß 7% unter den Scrollgrenze stattfanden.
Man kann also sagen, dass beim Browsing selten ein „lineares Lesen“ stattfindet,
sondern dass man von einem Überblick aus nach bestimmten Reizen „scannt“ auf
die man dann näher „fokussiert“ – eine große
Rolle spielen dabei angewöhnte Nutzungsmuster, wie die Reihenfolge
und Richtung des Scanvorgangs.
Für das Browsing außerdem entscheidend ist die „Reversibilität“ (Wirth,Schweiger
1999: S.59) von Selektionsentscheidungen. Wenn ein Textabschnitt langweilig
oder uninteressant ist, ist die Hemmschwelle einfach woanders hinzusurfen
sehr gering, da man über den „Zurück-Button“ jederzeit
zurückkehren kann.
Man könnte also schließen, dass das Lesen in einem Hypertext
in der Regel recht oberflächlich geschieht und sehr von bestimmten
Reizen gesteuert wird, wie Bilder, Überschriften, Schlüsselwörter.
Je nach Anwendung ist der Benutzer schnell abgelenkt und wird selten längere
Textabschnitte lesen. Verstärkt kommt hinzu, „dass Lesen am Bildschirm
anstrengender ist und ca. 20 Prozent langsamer vonstatten geht als Lesen
auf Papier.“ (Schweiger 2001: S.86).
Für den Programmierer eines Hypertext-Systems gibt es daher verschiedene
Dinge zu beachten, je nach Anwendungsfall. Wenn es gilt für die Teilnehmer
eines Seminars das Referatsthema als Hypertext zur Verfügung zu stellen,
sollte man darauf achten, dass man die Texte nicht zu stark fragmentiert,
und alles vermeidet, was den Benutzer vom dem speziellen Thema ablenkt.
Links sollten nur zur Navigation eingesetzt werden, ansonsten sehr bedacht
und nicht mitten im Text.
Der Entwickler eines elektronischen Nachschlagewerks hingegen, würde
wahrscheinlich für jeden Begriff nur kurze Texte verwenden und diese
mit vielen relevanten Links versehen, da hier der einfache Wechsel von Themen
und der schnelle Zugriff auf Informationen erwünscht ist.
Ein weiteres Beispiel ist natürlich der Entwickler einer klassischen
Webseite zu nennen. Dieser sollte verstehen, dass seine Webseite um die
Aufmerksamkeit des Benutzers kämpfen muss – denn um die Aufmerksamkeit
des Benutzers geht es letztendlich im WWW. Wie oben angedeutet, haben die „Surfer“ gelernt
bestimmte Selektions- und Evaluationsstrategien anzuwenden – es gilt
diese zu vestehen und sich daran anzupassen. Bestimmte Elemente sollten
eben auch genau da sein, wo sie der Benutzer erwartet – wichtige Informationen
sollten dahin, wo er zuerst hinschaut und nicht jenseits der Scrollgrenze.
Die Texte sollten je nach Fall eine passende Länge haben und v.A. muss
der Benutzer die Möglichkeit haben die Seite zu „scannen“ – ein
paar Überschriften, ein passendes Bild und vielleicht hat man ihn dann
schon gewonnen. Zwei Bildschirmseiten Text werden wahrscheinlich die meisten
Surfer sofort wieder vertreiben. Die Navigation muss für ihn intuitiv
klar sein, so dass der kognitive Aufwand, den er benötig, um diese
zu verstehen, möglichst gering ist.
Es gibt natürlich unzählige weitere Dinge, aber wie in der Einleitung angedeutet, kann dieser Aufsatz nur eine Andeutung sein. Gerade im Bereich der Webseiten ließe sich noch einiges erwähnen – aber ich hoffe es ist klar geworden, wie wichtig hier wissenschaftliche Untersuchungen sind, um die Nutzung von Hypertexten besser zu verstehen, und betreffende Anwendungen zu optimieren.
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Bush, Vannevar: As we may think. In: The Atlantic Monthly. Juli 1945. Im
Web unter http://www.theatlantic.com/unbound/flashbks/computer/bushf.htm,
Stand: 15.12.03.
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Schweiger: Hypermedien im Internet. München 2001
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Wirth, Schweiger: Selektion im Internet. Opladen 1999, S.43-74
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Wirth: Vorlesung Online-Kommunikation SS 2003. Unveröffentlichtes Skript.