Informationsaufnahme in Hypertext-Systemen

Christoph Metz


Einleitung

Das Konzept des Hypertextes gehört sicherlich zu den Dingen, die man als „Grundbausteine“ des Internet bezeichnen könnte. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird sogar oftmals der Begriff „Internet“ mit seiner Hypertext-Anwendung „WorldWideWeb“ gleichgesetzt – der Hypertext macht das WWW letztendlich zu dem, was es ist, nämlich ein weltumspannendes Informationsnetz.
Es stellt sich da natürlich die Frage, was den Hypertext nun im Vergleich zu herkömmlichen Texten ausmacht und wie sich die Aufnahme von Informationen unterscheidet. Wenn das WWW als Informationskanal jeglicher Art genutzt werden soll, und das wird es, dann braucht man natürlich Antworten auf diese Fragen, um Anwendungen oder Webseiten in Bezug auf ein gewünschtes Ziel verbessern zu können. Wichtige Themen sind hier z.B. der Lernerfolg in E-Learning-Systemen, oder auch die richtige Präsentation von Produktinformationen auf einer kommerziellen Werbe-Seite. In dem Umfang des vorliegenden Aufsatzes kann das Thema nicht ganz umfasst werden, daher soll hier nur auf einzelne Punkte beispielhaft eingegangen werden, um einen Einstieg in das Thema zu bekommen.


Der Hypertext

Das Konzept des Hypertextes ist natürlich schon älter als das Internet und existiert auch als Anwendung in anderen Systemen – durch die massenhafte Verbreitung des Internets, die ja auch nicht zuletzt durch das WWW bewirkt wurde, wird die Hypertextualität bei Computertexten allerdings als selbstverständlich angesehen und nicht als „feature“ wahrgenommen oder hervorgehoben – ein Beispiel sind elektronische Nachschlagewerke, die ja fast die perfekte Anwendung für Hypertext sind.
Das Konzept existiert schon aus den 40er Jahren als Vision eines „Memex“ (Memory Expander), der in der Informationsstruktur dem menschlichen Gehirn ähnlich sein soll (Bush, 1945) – die Idee ist, dass Informationen, die untereinander durch „Links“ vernetzt sind, besser in das Informationsnetz des Gehirns übertragen werden können. Erste Systeme wurden in den 70ern realisiert, bis schließlich 1989 das WWW erfunden wurde.


Informationsaufnahme

Die Frage ist natürlich nun, ob die Aufbereitung von Informationen als Hypertext wirklich den menschlichen Denkprozessen entgegenkommen. Als zentrale Konsequenz der Hypertextualität ist hier der „Selektionszwang- oder druck“ (Wirth, Schweiger, 1999 : S.48) zu nennen. Während sich ein Benutzer bei einem normalen Zeitungsartikel nur einmal für das Lesen entscheiden muss und danach nur noch zwischen den beiden Alternativen „weiterlesen“ und „aufhören“, stehen bei einem Hypertext permanent Entscheidungen an. Jeder Link innerhalb eines Textes ist dabei ein „Lesebremser“ (Schweiger, 2001 : S.93), der den Lesefluss unterbricht und vom Benutzer eine Entscheidung verlangt. Im Extremfall kann ein Link dann auch zu einem „Leseabbrecher“ (Schweiger, 2001 : S.94) werden, wenn der Benutzer nicht mehr zur Ursprungsseite zurückkehrt, oder nicht mehr zurückfindet – man merkt hier, dass auf Seiten des Benutzers zusätzlich ein großer kognitiver Aufwand erforderlich ist, um die mit der Hypertext-Struktur umzugehen. Außerdem sind Hypertextseiten zumeist recht kurz, sodass man nicht wie bei einem linearen Artikel „automatisch“ weiterlesen kann, sondern man muss sich am Ende von jedem Abschnitt für die weitere Richtung entscheiden (Wirth, Schweiger, 1999 : S.48).
In einer Studie des IFKW zu diesem Thema wurde bei den Versuchspersonen beobachtet, dass sie aus einem „linearen“ Text, der Detailinformationen direkt enthält, mehr Wissen gewinnen konnten, als aus der „fragmentierten“ Version, die einer Webseite mit kurzen, untereinander verlinkten Texten entspricht (Wirth, 2003). Diese Dinge könnten darauf hinweisen, dass, beim Lernen von klar definierten Inhalten, ein linearer Text besser in unsere Denkstruktur überführt werden kann. Ein Hypertext bietet hier zu viele Ablenkungen und erfordert einen erhöhten kognitiven Aufwand.
Eine weitere Studie hat allerdings gezeigt, dass beim Hypertext ein Übungseffekt auftritt – d.h. bei mehrfacher Nutzung wird der Wissenserwerb gesteigert (Wirth, 2003).

Ein anderes Bild wird sich ergeben, wenn man von einer relativ allgemeinen Informationsanforderung ausgeht – will man sich z.B. über ein bestimmtes Land informieren, bietet einem die Hypertext-Struktur die Möglichkeit, Unwichtiges leicht zu übergehen und bei Interessantem ins Detail zu gehen. Man spricht hier allgemein vom „Browsen“. Es ist dabei natürlich erforderlich, zunächst einmal angebotene Links auf ihre Relevanz zu überprüfen, bevor man sie klickt, also wieder unzählige Selektionsentscheidungen und dann, bei erfolgter Entscheidung die entsprechende Seite zu „scannen“. Beim diesem Scan-Vorgang werden zunächst Titel, Überschriften, Bilder und andere auffällige Elemente überflogen, um den Nutzen der Seite einzuschätzen (Schweiger 2001 : S.85). Dabei wird auch versucht, im Text bestimmte Schlüsselbegriffe auszumachen, oder auch bestimmten Muster (Zitate, hervorgehobener Text). Erst nach diesem „Scan“ wird sich der Benutzer entscheiden, ob er sich der Seite wirklich zuwendet, oder ob er sie verlässt – das ist also ein wichtiger Punkt, der bei der Konzeption der Seite / des Hypertextes zu beachten ist (siehe „Fazit / Anwendung).
Man konnte durch Laborexperimente herausfinden, „dass (a) die linke Bildschirmhälfte mehr Aufmerksamkeit erhält als die rechte, und (b) die obere Hälfte eindeutig öfter beachtet wird als die untere“ (Schweiger, 2001 : S.88). Durch ein Mouse-Tracking fanden Diekamp&Schweiger heraus, dass 73% aller Objektfixationen in der oberen Bildschirmhälfte, 20% in der untern und bloß 7% unter den Scrollgrenze stattfanden.
Man kann also sagen, dass beim Browsing selten ein „lineares Lesen“ stattfindet, sondern dass man von einem Überblick aus nach bestimmten Reizen „scannt“ auf die man dann näher „fokussiert“ – eine große Rolle spielen dabei angewöhnte Nutzungsmuster, wie die Reihenfolge und Richtung des Scanvorgangs.
Für das Browsing außerdem entscheidend ist die „Reversibilität“ (Wirth,Schweiger 1999: S.59) von Selektionsentscheidungen. Wenn ein Textabschnitt langweilig oder uninteressant ist, ist die Hemmschwelle einfach woanders hinzusurfen sehr gering, da man über den „Zurück-Button“ jederzeit zurückkehren kann.


Fazit/Anwendung

Man könnte also schließen, dass das Lesen in einem Hypertext in der Regel recht oberflächlich geschieht und sehr von bestimmten Reizen gesteuert wird, wie Bilder, Überschriften, Schlüsselwörter. Je nach Anwendung ist der Benutzer schnell abgelenkt und wird selten längere Textabschnitte lesen. Verstärkt kommt hinzu, „dass Lesen am Bildschirm anstrengender ist und ca. 20 Prozent langsamer vonstatten geht als Lesen auf Papier.“ (Schweiger 2001: S.86).
Für den Programmierer eines Hypertext-Systems gibt es daher verschiedene Dinge zu beachten, je nach Anwendungsfall. Wenn es gilt für die Teilnehmer eines Seminars das Referatsthema als Hypertext zur Verfügung zu stellen, sollte man darauf achten, dass man die Texte nicht zu stark fragmentiert, und alles vermeidet, was den Benutzer vom dem speziellen Thema ablenkt. Links sollten nur zur Navigation eingesetzt werden, ansonsten sehr bedacht und nicht mitten im Text.
Der Entwickler eines elektronischen Nachschlagewerks hingegen, würde wahrscheinlich für jeden Begriff nur kurze Texte verwenden und diese mit vielen relevanten Links versehen, da hier der einfache Wechsel von Themen und der schnelle Zugriff auf Informationen erwünscht ist.
Ein weiteres Beispiel ist natürlich der Entwickler einer klassischen Webseite zu nennen. Dieser sollte verstehen, dass seine Webseite um die Aufmerksamkeit des Benutzers kämpfen muss – denn um die Aufmerksamkeit des Benutzers geht es letztendlich im WWW. Wie oben angedeutet, haben die „Surfer“ gelernt bestimmte Selektions- und Evaluationsstrategien anzuwenden – es gilt diese zu vestehen und sich daran anzupassen. Bestimmte Elemente sollten eben auch genau da sein, wo sie der Benutzer erwartet – wichtige Informationen sollten dahin, wo er zuerst hinschaut und nicht jenseits der Scrollgrenze. Die Texte sollten je nach Fall eine passende Länge haben und v.A. muss der Benutzer die Möglichkeit haben die Seite zu „scannen“ – ein paar Überschriften, ein passendes Bild und vielleicht hat man ihn dann schon gewonnen. Zwei Bildschirmseiten Text werden wahrscheinlich die meisten Surfer sofort wieder vertreiben. Die Navigation muss für ihn intuitiv klar sein, so dass der kognitive Aufwand, den er benötig, um diese zu verstehen, möglichst gering ist.

Es gibt natürlich unzählige weitere Dinge, aber wie in der Einleitung angedeutet, kann dieser Aufsatz nur eine Andeutung sein. Gerade im Bereich der Webseiten ließe sich noch einiges erwähnen – aber ich hoffe es ist klar geworden, wie wichtig hier wissenschaftliche Untersuchungen sind, um die Nutzung von Hypertexten besser zu verstehen, und betreffende Anwendungen zu optimieren.


Literatur

• Bush, Vannevar: As we may think. In: The Atlantic Monthly. Juli 1945. Im Web unter http://www.theatlantic.com/unbound/flashbks/computer/bushf.htm, Stand: 15.12.03.
• Schweiger: Hypermedien im Internet. München 2001
• Wirth, Schweiger: Selektion im Internet. Opladen 1999, S.43-74
• Wirth: Vorlesung Online-Kommunikation SS 2003. Unveröffentlichtes Skript.