Mensch-Maschine Interaktion, Aufsatz 1: Online Lesen, 15. Dezember 2003
Autor: Andreas Singer

Digitales Lesen – Hat das Papier ausgedient?

Erfolgsgeschichte des Lesens

Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts konnte in Europa nur ungefähr jeder Hundertste Mensch lesen. Bücher und Schriften waren bis dahin hauptsächlich im Besitz von Klöstern, die dieses Wissen und die damit verbundene Macht auch dementsprechend behüteten und von der restlichen Welt fernhielten. Mit der Gründung der ersten Universitäten und der Ablösung des Pergamentes durch das kostengünstigere Papier wurde Bildung auch Menschen zugänglich, die nicht dem Klerus angehörten und die Erfindung des Buchdrucks um 1450 machte diesen Umschwung dann komplett. Dies ermöglichte eine rasche und immer billigere Verbreitung von Büchern, Zeitungen und Flugblättern und um 1800 konnten schließlich 80 Prozent der Europäer lesen.
Eine ähnlich revolutionäre Bedeutung wie damals der Buchdruck hat in der heutigen Zeit das Internet. Diese weltweite Vernetzung macht es möglich, dass heutzutage gewaltige Informationsmengen aus aller Welt, unabhängig von Ort und Zeit, von jemandem mit einem Computer abgerufen und online gelesen werden können. (1)

"Scannen" von Texten

Das Lesen am Computer unterscheidet sich nicht unwesentlich vom konventionellen Lesen auf Papier. So ist das riesige Informationsangebot im Internet einer großen internen Konkurrenz ausgesetzt: Da Suchmaschinen zu einer Anfrage im Normalfall sehr viele Ergebnisse liefern, ist ein Benutzer kaum in der Lage, all diese Internetseiten komplett zu lesen, stattdessen werden diese von 70 Prozent ihrer Besucher nur „gescannt“. Dabei wird von Seite zu Seite geklickt und nach hervorstechenden Ankerpunkten, wie zum Beispiel Überschriften, farbigen Textpassagen, Aufzählungen oder Bildern, gesucht. (2)
Eine US-Studie zum Lesen von Online-News belegt außerdem, dass die Augen von Internet-Nutzern nach dem Laden einer Seite zuerst auf den Text blicken und erst danach auf Bilder oder Grafiken. (3) Ganz im Gegensatz dazu versuchen Printmedien ja meistens, den Leser mit auffallenden Bildern oder Layouts zu fesseln und so zum Lesen des Berichts zu bewegen. (4) Für eine Website ist es daher wichtig, treffende Titel und Untertitel zu verwenden und diese für das Auge klar hervorzuheben. Mit aussagekräftigen Titeln wird die Internetpräsenz zudem auch in den Suchmaschinen besser und weiter oben zu finden sein. Weiters sollten wichtige Punkte farbig oder fett-gedruckt hervorgehoben werden, oder in Gliederungen und Listen zusammengefasst werden, um dem Besucher sofort einen Überblick über den Inhalt der Seite geben zu können.

Höchstleistungen der Augen

Da das Lesen am Bildschirm anstrengend und ermüdend für die Augen ist, dauert es Untersuchungen zufolge um ca. 20 Prozent länger, denselben Text online, anstatt auf Papier, zu lesen und beim Korrekturlesen von Texten werden online außerdem mehr Fehler übersehen. Die Hauptgründe dafür sind die schlechtere Auflösung (75 dpi auf einem Monitor im Vergleich zu 300 bis 600 dpi auf einem Standarddrucker) und ein zu geringer Kontrast von Bildschirmtexten im Vergleich zum Papierausdruck, sowie die teilweise noch immer zu schlechten Bildwiederholungsfrequenzen. Ganz allgemein hat man beim Lesen auf einem Monitor auch einen sehr starren und abwechslungslosen Blickwinkel und ein kleines Blickfeld. Bei Tests in Usability-Labors veränderten Papierleser viel häufiger die Position von Schriftstück zum Leser und machten einen ungezwungeneren und entspannteren Eindruck als die Online-Leser. Diese empfanden das Scrollen und Navigieren innerhalb des Textes als arbeitsintensiv und anstrengend, sie ermüdeten schneller und brauchten mehr Pausen. „Die Farben auf dem Bildschirm sind Licht, welches auf die Netzhaut strahlt. Die Farben auf dem Papier hingegen bestehen aus Farbpigmenten, die das Licht reflektieren. Das ist natürlich viel schonender für die Augen. Aus diesem Grund sollte man beim Webdesign, im Gegensatz zum Printbereich, auf große weiße Flächen verzichten.“ (5)

Schriftart und -größe, Farbe und Hintergrund

Aufgrund der bereits erwähnten Nachteile von Online-Texten ist natürlich die Wahl von günstigen Kontrasten und Farben, sowie die richtige Schriftart und -größe, bei digitalen Texten noch um einiges wichtiger als auf Papier. So wurde ein Text in den Schriftarten Arial und Times New Roman um einiges schneller gelesen als in den Schriftarten Georgia, Courier New und Century Schoolbook. Die meisten Leser beurteilten eine 12pt-Schriftgröße auch besser als eine mit nur 10pt. Ältere Erwachsene und Kinder bevorzugten außerdem Schriftarten ohne Serifen, wie zum Beispiel Arial oder Comic. Bei der Wahl von Text- und Hintergrundfarbe ist vor allem darauf zu achten, dass ein ausreichend starker Kontrast eingehalten wird – vor allem bei der Verwendung von Hintergrundbildern leidet oft die Lesbarkeit, wenn der Kontrast zum Text zu gering wird. Dunkle Schriftfarben auf hellem Untergrund schneiden dabei besser ab als umgekehrt, wobei – wie vorhin bereits erklärt – auch auf große, weiße Flächen verzichtet werden sollte. Auch bei Farbabgrenzungen innerhalb von Texten (Links, besuchte Links, Überschriften, …) sollte auf einen ausreichenden Kontrast zwischen den Farben geachtet werden, da 8 Prozent aller Männer und 0,5 Prozent der Frauen unter einer Farbsehschwäche irgendeiner Art leiden und deswegen bei zu ähnlichen Farben Unterscheidungsprobleme auftreten könnten. (6)

Handhabung, Flexibilität, ...

Auch in Punkten wie Handhabung, Flexibilität und Zusatzfunktion schneidet das Online-Lesen (noch) schlechter ab als Zeitschriften oder Bücher. Nach dem Kauf einer Zeitschrift ist man zeitlich und räumlich ungebunden und kann diese lesen wo und wie lange man möchte. Es gibt heutzutage zwar bereits die verschiedensten tragbaren Computer wie Notebooks oder PDA’s, allerdings werden diese in Punkto Handhabung dem einfachen Durchblättern einer Zeitung noch nicht gerecht. Zudem gelten einige Zeitschriften schon fast als eine Art Statussymbol oder werden gesammelt und schon allein aus diesem Grund der Onlineversion vorgezogen.
Vorteile haben digitale Dokumente im Web allerdings schon heute in den Bereichen Interaktivität, Kosten und Aktualität. Eine Internetseite abzurufen, ist je nach Umfang und Dauer um einiges günstiger als eine Zeitschrift zu kaufen und man kann sich interaktiv seine eigenen Interessensgebiete heraussuchen und die Seite dementsprechend anpassen. Inhalte auf Websites können auch schnell und unkompliziert aktualisiert werden und sind meistens schon vor ihren Druck-Versionen verfügbar. (4)

Zusammenfassung

Abschließend ist zu sagen, dass das Internet und das damit verbundene digitale Lesen zwar immer beliebter und verbreiteter wird, allerdings zeichnet sich eine gute Internet-Seite gerade auch dadurch aus, dass bei großen Dokumenten immer zusätzlich eine Druckversion zum Offline-Lesen verfügbar ist. Die erläuterten Nachteile sind einfach noch zu groß, um komplett auf das Papier verzichten zu können. Durch die stetige Verbesserung der Bildschirme, Erfindungen wie das Internet aus der Steckdose oder digitales Papier, werden diese Unterschiede zwar immer geringer, dennoch sind viele Experten der Meinung, dass die Printmedien auch kommende, digitale Neuerungen überstehen werden. Im Moment hat das Online-Lesen im Web eher noch eine Art Nachschlagewerk-Charakter und dient vor allem zum schnellen Auffinden von Informationen oder zur Kommunikation. Beim intensiven Lesen in Tageszeitungen oder Romanen wird wohl in absehbarer Zeit noch immer die Medienwahl auf das Papier fallen.

 

Literatur- und Onlineverzeichnis

(1) glossar.de: Der Weg von Gutenberg bis Internet
<http://www.glossar.de/glossar/z_gutenberg.htm> (abgerufen am: 14.12.2003)

(2) ergomedia.de: Scannen statt Lesen
<http://www.ergomedia.de/pruefen/scannen.html> Juni 2003 (abgerufen am: 13.12.2003)

(3) Standford-Poynter Project: EyeTracking Online News
<http://www.poynterextra.org/et/i.htm> Juli 2000 (abgerufen am: 11.12.2003)

(4) Scharnewski, M.: Internet und Printmedien
<http://www.stephan-selle.de/Seminarliste/Medienkultur/Printmedien/printmedien.html> März 2001 (abgerufen am: 11.12.2003)

(5) Wahrnehmungspsychologie – Lesen
<http://www.villach.at/SUB/wahrnehmung/> Dezember 2002 (abgerufen am: 09.12.2003)

(6) Bernhard, M.: How should text be presented within a website?
<http://psychology.wichita.edu/optimalweb/text.htm> März 2003 (abgerufen am: 13.12.2003)