Lesen am Bildschirm

Andreas Reiter

Motivation

Im heutigen Informationszeitalter, wo eine unüberschaubare Zahl von Menschen täglich eine Vielzahl von Texten lesen (muss), ist es nicht zuletzt aus ökologischen und ökonomischen Gründen interessant, ob diese Texte am Bildschirm gelesen, oder vorher ausgedruckt werden. Lesen am Bildschirm ist anstrengender und weniger ergonomisch als das Lesen auf Papier. Dies ist einerseits in der Lesegewohnheit, andererseits in der Anzeigequalität der Bildschirme begründet. Einige Ergonomieforscher sind der Meinung, dass Internetseiten am Bildschirm meist nur "gescannt" und nicht Wort für Wort gelesen werden. Jacob Nielsson und John Morks fanden heraus, dass nur 16 % der Leser von Internetseiten diese wirklich linear lesen, 79 % scannen die Seiten grundsätzlich. Da stellt sich die Frage, was man auf Kommunikator-Seite tun kann, um die Lesbarkeit zu verbessern, wo man meist keinen Einfluss auf das Ausgabegerät auf Rezipienten-Seite hat. Im Folgenden möchte ich einige Möglichkeiten aufzeigen, wie man mit relativ einfachen Mitteln und durch die Einhaltung einiger Regeln die Lesbarkeit eines (elektronischen) Textes entscheidend verbessern kann. Doch was passiert beim Lesen eigentlich?

Das Lesen

Die Tätigkeit des Lesens ist ein erlernter Vorgang. In der westlichen Welt werden die Zeilen von links nach rechts und eine Seite Text von oben nach unten zu lesen. Dabei folgen die Augen den geschriebenen Wörtern entlang der Zeile. Normalerweise wird jedoch nicht jeder Buchstabe einzeln gelesen. Das Auge fokussiert immer nur einen kleinen Bereich des Texts. Bestimmte Textstücke, deren Größe etwa 3 Buchstaben umfasst, werden für ca. 250 ms fokussiert (Fixation). Dabei helfen Satzzeichen und Großbuchstaben bei der Unterteilung. Daraufhin wird in ca. 15 ms zum nächsten Textstück gesprungen, welches etwa 7 bis 9 Buchstaben weiter rechts liegt (Saccade). Über die Muster der Schlüsselstellen und deren Ähnlichkeit zu bereits im Gehirn des Lesers gespeicherten Wortbildern werden die Wörter des Texts erkannt und daraufhin das Gelesene mit einer Bedeutung verknüpft. Meist reichen die fokussierten Schlüsselstellen aus, um das passende Wortbild im Sprachschatz des Lesers zu finden – falls Zweifel besteht wird noch einmal zurückgesprungen und ein anderer Bereich des Wortes fokussiert. Handelt es sich um ein langes oder zusammengesetztes Wort, so wird mehrmals fixiert und das Wort sodann im Kurzzeitgedächtnis zusammengesetzt. Wenn der Leser auf ein Wortbild trifft, welches er noch nicht kennt, so muss er es Buchstabe für Buchstabe lesen und sich womöglich die Bedeutung aus dem Zusammenhang erschließen. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich bereits einige Schlüsse für die Gestaltung von Texten ziehen. Je mehr Wortbilder der im Text vorkommenden Wörter im Gehirn des Lesers gespeichert sind - sprich: je mehr Wörter der Leser kennt - desto flüssiger und schneller kann er den Text lesen. Ausschlaggebend für die so genannte Readability, also für die Lesbarkeit eines Texts, sind demnach eine zielgruppengerechte Wortwahl und die Deutlichkeit der Wortbilder. Das erleichtert das Lesen und ermüdet weniger, wodurch die Lesegeschwindigkeit erhöht wird, und das Gelesene leichter gemerkt werden kann.

Die Schrift

Es gibt einige Möglichkeiten, mit denen sich die Deutlichkeit der Wortbilder verbessern lässt. Als erstes wäre da die Verwendung von Serifenschriften zu nennen. Serifen (frz. Füßchen) sind geschwungene oder rechteckige Strich-Enden, durch die Buchstaben besser charakterisiert werden und damit schneller und leichter zu erkennen sind. Das Schriftbild wirkt harmonischer, das Auge wird flüssig über den Text geführt. Als Vertreter dieser Schriftgattung ist z.B. die Schrift Times plattformübergreifend verfügbar. Bei den Serifenlosen handelt es sich im Prinzip um die nackten Druckschrift-Buchstaben, welche dem Schüler in der ersten Klasse beigebracht werden. Sie sind auf Dauer anstrengender zu lesen, als die Serifenschriften. Da hier auf Verzierungen verzichtet wird, ist ihre Wirkung eher sachlicher Natur. Arial und Helvetika wären Beispiele für diese Gattung. Im Unterschied zu den Printmedien sind am Bildschirm Serifenschriften in kleinen Schriftgraden schlechter lesbar als Serifenlose, was vor allem an der Bildschirmauflösung liegt. Der bei niedrigen Bildschirmauflösungen entstehende Treppcheneffekt stört das Schriftbild, kann aber durch die ClearType-Technologie zumindest teilweise kompensiert werden. Es handelt sich dabei um eine Schriftenglättung die durch Anti-Aliasing erreicht wird. Ansonsten ist zur Verbesserung der Lesbarkeit eine höhere Schriftgröße zu wählen. Für Erwachsene ist eine Grundschrift von 8 bis 12pt für Fließtext zu empfehlen, bei Kindern 11 bis 14pt und bei Präsentationen mindestens 16pt. Weitere formale Eigenschaften guter Bildschirmlesbarkeit sind: hohe x-Höhen (die konstante Höhe der Kleinbuchstaben ohne Ober- und Unterlänge) im Verhältnis zur Gesamthöhe der Schrift; offene Binnenräume (ausgeglichener Weissraum innerhalb und zwischen den Zeichen) und gleichmäßige Balkenstärken. Grundsätzlich gilt: je kleiner die Bildschirmschrift und je feiner die Linien, umso schlechter ihre Bildschirmdarstellung. Dies hat auch Auswirkungen darauf, wie nahe beieinander die Buchstaben stehen dürfen (Laufweite), denn falls sie sich berühren ändert sich ihre Kontur, wodurch die Mustererkennung erschwert werden kann. Die Laufweite einer Schrift kann durch sog. Sperren vergrößert werden. Dies sollte bei hellen Schriften auf farbigem oder schwarzem Hintergrund ohnehin durchgeführt werden, da die Überstrahlung am Bildschirm die Buchstabenabstände optisch verringert. Allerdings führt auch eine zu große Sperrung zur schlechteren Lesbarkeit, da das Auge die Führung verliert.

Das Wort

Die Wörter sind der Schlüssel zum Verständnis des Lesers. Mit der Schriftauszeichnung wird dem Autor ein Stilmittel an die Hand gegeben, unterschiedliche Textstellen besonders hervorzuheben, um damit eine bestimmte Bedeutung und Wichtigkeit der Worte zu vermitteln. Hier bieten sich mehrere Möglichkeiten: Kursiv als eine dezente Art der Auszeichnung, um vor allem fremdsprachige, noch nicht eingedeutschte Wörter hervorzuheben; Fett für Stichworte, die vom Leser schnell, auf einen Blick erfasst werden sollen und Versalien als ideale Auszeichnung für Firmenbezeichnungen. Auch der Abstand zwischen den einzelnen Worten verdient Beachtung. Angemessene Wortabstände erleichtern das Erkennen von Wortbildern. Zu geringe Abstände hindern den Lesefluss, da man erst durch genaues Hinsehen oder gar Buchstabieren herausfinden muss, wo denn nun das nächste Wort beginnt. Zu große oder unregelmäßige Wortabstände sind jedoch ebenso wie bei den Buchstaben benutzerunfreundlich – hier verliert das Auge leichter die Führung und muss neu ansetzen.

Die Struktur

Eine weitere Möglichkeit, die Readability eines Texts zu fördern, besteht in einer vernünftigen Strukturierung. Bei der äußeren Form ist auf Zeilenlänge, Zeilenabstand und Satz zu achten. Die ideale Lesebreite beträgt 55 Zeichen, die Zeilenlänge sollte demnach zwischen 45 und 65 Zeichen liegen. Bei weniger als 45 Zeichen gibt es zu viele Silbentrennungen und bei verwendetem Blocksatz entstehen unregelmäßige Wortabstände, was den Lesefluss hemmt. Längere Zeilen benötigen einen größeren Zeilenabstand, damit der richtige Anfang der nächsten Zeile problemlos gefunden werden kann. Je nach Inhalt oder gewünschter Wirkung lassen sich Abschnitte unterschiedlich setzen. Zentrierte Überschriften und Gedichte kommen besonders gut zur Geltung. Blocksatz gilt als der Standard für den normalen Fließtext. Linksbündig orientierte Textpassagen eignen sich gut für schmale Spalten. Rechtsbündiger Satz ist bei langen Texten eher schwer zu lesen. Inhaltlich ist bei der Textstruktur auf Folgendes zu achten Einzelne Sätze sollten nicht zu lang oder verschachtelt sein. Zusammenhängende Gedankengänge sind in eigene Absätze zu fassen und mit aussagekräftigen Überschriften zu versehen. Das erhöht die Übersichtlichkeit und hilft so dem Leser bei der Orientierung. Allerdings ist gleichzeitig auch die Größe der Absätze zu beachten. Zu große Textblöcke schrecken ab, erfordern eine lange Konzentrationsspanne beim Lesen und lassen das Gesamtbild des Texts eher langweilig wirken. Zu kurze Abschnitte zerrupfen das Gesamtbild und wirken dadurch unruhig und unprofessionell. Es gilt ein gutes Mittelmaß zu finden.

Zusammenfassung

Wie man sieht, gibt es vielfältige Möglichkeiten, die Lesbarkeit eines Texts zu verbessern, was gerade beim Lesen am Bildschirm ausschlaggebend sein kann. Dazu gehören die Wahl der richtigen Schriftart, Schriftgröße, des Zeilenabstands und die Laufweite der Schrift, die Zeilenlänge und die Satzform. Auch die Farbwahl von Schrift und Hintergrund beeinflusst Lesbarkeit erheblich – doch die Verwendung und Wirkung von Farbe bei der Gestaltung von elektronischen Texten ist Thema einer Vielzahl anderer Publikationen und soll hier nicht weiter behandelt werden.

von Andreas Reiter

Literatur- und Onlineverzeichnis

Vorlesungsskript Digitale Medien im SS03 von Prof. Hussmann

http://www.scharfsinnig.de/typographie.html (Abrufdatum: 08.12.03)

http://www.ideenreich.com/struktur/wahrnehmung_02.shtml (Abrufdatum 10.12.03)

http://www.k-buechner.de/beraten/werkstatt/bildschirmtext.html (Abrufdatum: 07.12.03)

http://www.meermaedchen.de/uni/referate/screendesign/3.html (Abrufdatum: 07.12.03)